Samstag, 30. Oktober 2010

Misión Cumplida

Unerwartet plötzlich endet an dieser Stelle mein Internettagebuch. Es hat sich ohnehin nur an der Oberfläche mit Sprache und Musik beschäftigt... 

Nun hat es seine Funktion erfüllt: Ich habe mich freigeschwommen! Ich werde zu neuen Ufern aufbrechen und neue Formen suchen.

Vielen Dank für die werte Aufmerksamkeit. Ich danke auch für die raren Kommentar online und die vielen Gespräche in diversen Küchen und Cafés offline.

Acht Monate Leben vorbei, 234 Tage. Noch ein ganzes Leben vor mir! 

Haltet die Augen offen.

Immer noch auf der Suche...

Sonntag, 24. Oktober 2010

Le vent nous portera : Per Anhalter durchs Netz (Serie, Teil 30)

Französischer Blues-Rock – ein Selbstwiderspruch? Nee, gar nicht. Diese Woche sei kurz und knapp die Band angepriesen, die Frankophilen schon seit den frühen 80ern bekannt sein könnte: Noir Désir. Auf die Texte zu hören, lohnt sich. Sie setzen sich kritisch mit der Gesamtscheiße in der Welt auseinander, wie es verkopfte Kontinentaleuropäer für gewöhnlich tun. Allerdings tut das diese  Band im Gewand französischer Musiktradition, die leichtfüßiger daherzukommen pflegt als Tocotronic und Konsorten. Das Lied, das ich zum Kennenlernen ausgesucht habe, versucht aber eher eine Draufsicht auf das gesamte Leben – mit weltschmerzlicher Musik, aber einem in seiner Untröstlichkeit versöhnlichen Text...

Noir Désir: Le vent nous portera

Trotz all der Um- und Irrwege, die manchmal die horizontale Perspektive des Lebens verschwimmen lassen, trotz all der Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen muss, trotz der Mühe, der Aussichtslosigkeit, der zähen Frist unseres Daseins, ist es doch immerhin erfreulich auf der Welt zu sein.  Wenigstens für den Hauch einer Weltsekunde, wenigstens bis der Wind alles fortträgt.
Lieben Dank an meine liebste Anne für den wunderbaren Tipp. 
Ahoi nach Berlin!

Wer im Französischen nicht so zu Hause ist, sei auf die Übersetzung verwiesen, für alle anderen der Originaltext:

Je n'ai pas peur de la route
Faudrait voir, faut qu'on y goûte
Des méandres au creux des reins
Et tout ira bien là
Le vent nous portera

Ton message à la Grande Ourse
Et la trajectoire de la course
Un instantané de velours
Même s'il ne sert à rien va
Le vent l'emportera
Tout disparaîtra mais
Le vent nous portera

La caresse et la mitraille
Et cette plaie qui nous tiraille
Le palais des autres jours
D'hier et demain
Le vent les portera

Génetique en bandouillère
Des chromosomes dans l'atmosphère
Des taxis pour les galaxies
Et mon tapis volant dis ?
Le vent l'emportera
Tout disparaîtra mais
Le vent nous portera

Ce parfum de nos années mortes
Ce qui peut frapper à ta porte
Infinité de destins
On en pose un et qu'est-ce qu'on en retient?
Le vent l'emportera

Pendant que la marée monte
Et que chacun refait ses comptes
J'emmène au creux de mon ombre
Des poussières de toi
Le vent les portera
Tout disparaîtra mais
Le vent nous portera

Montag, 18. Oktober 2010

Reinfall, sehenden Auges

Punk is not dead!
Bionade-Biedermeier nannte die Zeit einst die spießige Kinder-Krieger-Brigade aus dem Prenzlauer Berg. Aber wie kommt das eigentlich, dass die, die in ihren 20ern so hipp gewesen sind, Tocotronic gehört und auch sonst den Anti-Mainstream, die absolute Selbstverwirklichungsfreiheit und die flächendeckende Unangepasstheit gefeiert haben, plötzlich verholzen und sich in die engen Lebensmodelle ihrer Eltern und Großeltern quetschen? 

Dann bleiben Frauen, die jahrelang studiert haben, jahrelang mit ihren Säuglingen zu Hause - unter dem fadenscheinigen Schutz des Satzes: "Ich will doch mein Kind aufwachsen sehen". Statt sich ihres geschärften Verstandes zu bedienen, wie Kant es ihnen im beliebtesten aller Magisternebenfächer beigebracht hat, brabbeln sie nur noch baby talk. Im besten Fall fühlen sie wenigstens, dass da irgendetwas nicht stimmt, spüren die eigene Unterfordertheit und machen sie als Ursache für ihr allmähliches Unglücklichwerden aus. In den meisten Fällen stumpfen sie aber gegen das eigene Unwohlsein ab und nennen die übriggebliebene Fadheit einfach Glück. Problem gelöst. Ein attraktiver, interessanter und eigenständiger Mensch bleibt man dadurch  nicht...

Wer das Kind nicht aufwachsen sieht, ist der Vater, weil er sich in einem halbherzig ergriffenen Beruf von morgens bis abends abrackert, um die junge Familie zu ernähren. Die klassische Rollenverteilung. Ziemlich unfair für beide Seiten! Aus dem hip von einst ist Hipp von Claus geworden. Individualität ist nur noch zur Schau getragenes Öko-Klamotten-Gehabe, stimmt aber hinten und vorne nicht und wird nicht mehr gefühlt. Alles ist nur noch ein schlechtes Relikt von fadenscheiniger Rebellion. Die Chucks dürfen bleiben, der Schnauzer, der mal für kurze Zeit als Anti-Anti fungiert hat, muss ab.
Anti Anti

Warum wird aus Kindern so ein großer Buisnessplan gemacht? Statt sie einfach groß werden zu lassen, die Zeit mit ihnen qualitativ und nicht quantitativ auszumessen, werden sie rund um die Uhr kritisch beäugt, diskutiert, observiert. Bionade-Stasi. Die Aufmerksamkeit wird zum Ersatz für das eigene Leben zwischen 20 und 30, das man aufgeben zu müssen meinte, um den durchorganisierten Lebensplan umsetzen zu können. Dabei würde einem bei genauerem Hinsehen klar, dass dieses Modell gar nicht mehr in unsere Zeit passt, es passt eigentlich in keine Zeit: "Karriere, dicke Kohle, Riesen-Altbauwohnung oder Haus im Ländlichen, mit 40 Kinder als Sahnehäubchen." Ich habe eine repräsentative Umfrage unter 3-Jährigen durchgeführt und herausgefunden: Kinder kratzt es nicht, ob sie etwas besitzen oder nicht. Sie legen wert auf Zeit und Liebe... Die geschiedene Elterngeneration, die sich meist erst in der zweiten, langen Beziehung ihres Lebens genügend Abstand und Freiraum für eigene Idee gönnt, zeigt doch, dass es sowieso auf Patchwork hinausläuft, wenn man sich zu sehr zurechtzubiegen versucht.

Das ist alles sehr polemisch? Gern geschehen! Immerhin haben wir inzwischen unendlich viel Zeit, um herauszufinden, welches Leben wir leben wollen. Während unsere Großmütter mit 17 schwanger und mit 18 verheiratet waren, weil über "diese Dinge" nicht gesprochen und nachgedacht wurde, haben wir – diese wohl behütete Generation – beschlossen, unsere Jugend um 10 Jahre zu verlängern, uns unserer Freiheit, dem Ausprobieren von Gefühlen, dem Reisen, der bedingungslosen Selbstfindung hinzugeben. Aber anstatt die Zeit zwischen 20 und 30 zu nutzen, um die Muster, die Modelle, die Ansichten, die wir im Schädel herumtragen und die da irgendwie, ohne dass wir genau wissen wie, hineingeraten sind, in Frage zu stellen, zu verwerfen, zu modifizieren, an unsere Erfahrungen anzupassen, vertrödeln wir unsere Zeit, hüten uns vor dem Erwachsenwerden, feiern eine einzige ausgiebige Party und fallen dann in all das Hinterfragte rein.
Reinfall, sehenden Auges.

Die zahllosen Veranstaltungen zu Gender-Themen sind gut besucht und werden anschließend bei einem trockenen Rotwein diskutiert. Aber für das eigene Leben ziehen wir keine Konsequenzen daraus. Der wirre Kopf ist voller wirrer Ideen für Projekte, die uns vielleicht über Jahre befriedigen und glücklich machen könnten, aber zum Schluss ist es doch der Traum von komfortablem Konsum, der den Idealismus verdrängt und uns einen langweiligen Job machen lässt. Das Eingehen von Verpflichtungen, das Kinderkriegen, das Eigentumanhäufen bedeutet für viele eine freiwillige Einschränkung ihrer Freiheit, die sie nur scheinbar satt und zufrieden macht. Die Seele will liebkost, der Geist herausgefordert, das Denken überschritten werden. Yoga und Dr. Kawashima sind nicht die Antwort auf alle Fragen. Ist nicht beides lebbar? Freiraum und Verantwortung? Einen Platz im Leben finden und weiterhin Grenzen überschreiten? Ich fänd's komisch, wenn's nicht so wäre, denn logisch schließt sich das keineswegs aus.

Warum versprechen wir uns Dinge, die wir dann nicht halten können? Ewige Treue, Hingabe, Liebe... Ein ganzes Leben lang, sozusagen eine Flatrate. Wieso backen wir nicht kleinere Brötchen und versprechen uns nur das, was möglich ist? Ein Freund von mir hat mit seiner Freundin folgenden schönen Weg gefunden: Sie führen eine Fernbeziehung und verlängern bei jeder Verabschiedung ihre Beziehung um einen weiteren Monat. Sie versprechen sich nicht mehr als sie können und dennoch so viel wie nötig ist.

Eigentlich müsste man froh sein über diejenigen, die sich weigern, halbherzige Beziehungen zu führen. Sie sind über die 30, aber nicht über die Spätpubertät hinausgekommen vor lauter Bauchnabelbeguckung. Der hinübergerettete Hedonismus wirkt ohne den jugendlichen Idealismus leider ziemlich flach und kindisch. Beziehungsunfähigkeit und Misanthropie werden als Gründe für die Verweigerung von commitments angegeben. Selten liegen diese Dinge wirklich vor oder sind pathologisch. Unverbindlichkeit als Lebensprinzip. Eigentlich müsste man froh sein über diejenigen. Schließlich tun sie nichts, als ab und an einem Menschen mit Bindungsabsichten das Herz zu brechen. Aber darüber kommt man hinweg. Immerhin bleiben sie bei sich! Angst, Leere und inneres Schweigen sind der Preis für den höchsten Grad von Unabhängigkeit. So radikal möchte ich es nicht angehen lassen.
gesehen in der Lonely-Wolf-Sackgasse

Ich plädiere mit Aristoteles für eine Mitte zwischen den Extremen. Kein symbiotischer Pärchen-Quatsch, keine Lonely-Wolf-Nummer. Ziehen wir doch verschiedene Lebensmodelle in Betracht! Und wenn das heißt, dass man irgendwann aus steuerlichen Gründen die beste Freundin heiratet, mit der man zusammenlebt, weil das besser klappt als mit einem Mann, warum eigentlich nicht? Und wenn das heißt, dass man zwei verschiedene Wohnungen hat, weil man Zeit und Raum für sich braucht, warum nicht auch das? Und wenn das heißt, dass man auch mal allein in den Urlaub fährt, warum nicht? Und wenn das bedeutet, dass mal voneinander weg und mal zueinander hin findet, so what? Wie gesagt, es kann das eigene Profil nur schärfen, wenn man auch als Mutter/Vater bzw. Ehefrau/Ehemann bzw. Freundin/Freund ein eigenes Leben führt, seine Interessen und Ideen entwickelt, sich Ziele setzt und sie verfolgt. Keiner wird einen Zombie lieben!

Und Liebe ist kein eindimensionales Gefühl. Wer immer nur romantische Komödien guckt, bekommt diesen Eindruck. Das Leben verläuft nicht in geraden Bahnen sondern besteht aus Weggabelungen, Abkürzungen und Umwegen. Gefühle finden in einem Kontinuum statt, können schwanken, stärker und schwächer werden. Um die Ecke denken lohnt sich. In sich hineinhören ist dringend geraten.

Habe ich einen zu nüchternen Blick auf die Kinderfrage? Eine zu pragmatische Herangehensweise an die Liebe? Bin ich dem werten Leser zu naseweis und unerfahren? Argwöhnt er sogar, dass ich nur aus Frust so gegen glückliches Familien-Gründen und Pärchen-Spielen polemisiere, weil ich selbst (nun schaut er etwas mitleidig) "allein durchs Leben gehen muss"? Once again: Bitte, gern geschehen! Mit kratzbürstiger Rage mache ich mich gerne unbeliebt, wenn dafür der ein oder andere sein Bionade-Biedermeiertum überdenkt. Vielleicht wollen Kinder nüchterne, liebevolle Konsequenz! Vielleicht braucht es Pragmatik, um eine lange, schöne Beziehung zu bestreiten! Vielleicht denke ich in ein paar Jahren ganz anders über alles! Vielleicht würde ich einen solchen Text nicht schreiben können, wenn ich mich in der geistigen Faulheit einer Beziehung befände. Aber das spricht weder gegen mich noch gegen meinen Text. Der werte Leser weiß, wogegen das spricht.

Ich will dennoch versöhnlich enden. Mit einem Liebesgedicht. Einem der schönsten. Natürlich von Rilke. 
Liebeslied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt,wenn deineTiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
Es beschreibt bei genauerem Hinsehen sehr exakt, woher Liebe kommt. Wir lieben den anderen in seiner Eigenständigkeit, seiner Einzigartigkeit, seiner planetengleichen Strahlungskraft. Wir lieben ihn deswegen am Anfang  auch so sehr, dass es manchmal fast schmerzt. Weil er zu diesem Zeitpunkt so allein und eigenständig und schön strahlt. Weil er so sehr Mensch ist. Bewahren wir uns das eigene Strahlen – für uns selbst und für den geliebten Menschen!  Dann kann eigentlich gar nichts mehr schief gehen...


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Ich danke Markus, Pia, Marco, Anne, Sarah, Ruth, Christoph, Steffi und Uli für die anregenden Hinweise und Gespräche, die diesen Blogbeitrag in mir haben gähren und reifen lassen.

Sonntag, 17. Oktober 2010

They shoot horses, don't they? Per Anhalter durchs Netz (Serie, Teil 29)

Die Band dieser Woche kam auf einem selbstgemachten Mixtape zu mir. Die allerschönste Art, Musik zu entdecken. Mange tak, min ven! Toronto music scene on it's best, kanadischer Indie Folk-Rock wie ick's mag! Apostle of Hustle: Andrew Whiteman verbirgt sich hinter dem Projekt. Umtriebig der Mann, mit Feist und Gogol Bordello auf Tour, Instrumente auf Kuba gelernt, eine Vorliebe für Rimbaud...

Apostle of Hustle - Cheap like Sebastian

Dienstag, 12. Oktober 2010

1000

Mein Counter steht bei 1000! Und das am fast 7-monatigen Geburtstag meines Babys. Ob der Andy-Hoppe-Counter jetzt zuverlässiger ist als der google-interne? Jedenfalls Grund mich zu freuen und ein paar schöne Post anzukündigen:


Coming soon:

Danke fürs treue lesen oder zumindest draufklicken... Man weeßt dit ja genauso wenig wie bei allen anderen Quoten. Jedenfalls: HOORAY!!!!

Sonntag, 10. Oktober 2010

Dänische Musiker mit Talent für Melodien: Per Anhalter durchs Netz (Serie, Teil 28)

Murder, ein merkwürdiger Name für eine Band. Aber ich bin immer noch im Urlaub und da passt dänische Musik gerade ganz hervorragend. Überhaupt fügt sich die herbstliche Jahreszeit ganz hervorragend an mein persönliches Folk-Acoustic-Jahr an. Hat ja auch viel geregnet diesen Sommer… 

Uns ist allen schon aufgefallen, dass heutige Musikvideos mehr von Graphikstudenten als von Filmemachern dominiert werden, oder? Brauche ich also nicht zu kommentieren. Kurz gefasst und frisch verliebt:

Murder - Applejuice





Konzerte: Die zwei Jungs touren derzeit leider nur durch Dänemark, Island und Belgien. Skål, Skál und Proost würde ich sagen, bei dem Schnapsdatum heute.

Samstag, 9. Oktober 2010

sich der Welt mitteilen

tolle, junge Frau

Wo lernen eigentlich Schreibende andere Schreibende kennen? Im Netz? Eher nicht. Da wo ich auch sonst Menschen kennen lerne: beim Arbeiten, in der Schlange an der Supermarktkasse, bei Mitfahrgelegenheiten, beim Zelten, bei Freunden, in der Kneipe. Jedenfalls offline. Jüngst erst habe ich die Bekanntschaft mit einer tollen, jungen Frau gemacht, mich mit ihr auf ein Feierabendbier verabredet und nett geschnackt. Danach erst gestanden wir uns mehr oder weniger schüchtern das eigene Bloggen. Erstaunt war ich über die gemeinsamen Themen: Musik, Liebe, Glück, Sehnsucht, Zurechtkommen im eigenen Leben. Warum war ich darüber eigentlich erstaunt, ist das etwas besonderes? Ist das nicht etwas, was uns alle umtreibt, Fragen, die eine Generation zusammenkleben? Schon, nur schreibt nicht jeder darüber. Die Themen sind nicht neu, die Fragen nicht einmal besonders originell gestellt. Neuheit ist es auch nicht, was Kreative im weitesten Sinne umtreibt. Die eigene Perspektive ist das entscheidende. Der eigenständige Blick auf die Welt unterscheidet den, der sich mitteilen muss, um zu überleben, von dem, dem atmen, essen, schlafen und konsumieren genügt.
Ich habe die Sätze "Bevor ich anfange zu schreiben, will ich ein eigenes Thema gefunden haben. Alles wurde schon tausendmal geschrieben." schon tausendmal gehört. Auch von mir selber. Eigentlich ist das nur eine Ausrede, eine Angst vorm Anfangen, eine Angst vor dem eigenen Unvermögen und Scheitern. Mittlerweile denke ich, es kommt weniger auf das Was an, mehr auf das Wie und das Dass, auf das Anfangen. Ich bin in meinem jugendlichen Leichtsinn geradzu besessen von einem durch und durch idealistischen Menschenbild. Ich glaube, dass im Grunde jeder Mensch sein Leben reflektiert und daher etwas zu sagen hat. Bei vielen ist diese grundmenschliche Fähigkeit leider verschüttet: unter zu viel Elend, unter zu viel Bequemlichkeit, unter zu viel Betäubung. Es ist auch keine Frage der Bildung, ob jemandes Sicht auf die Welt auch für andere interessant werden kann, sondern eine Frage der Herzensbildung. Wenn man bloggen ernst nimmt, ist es keine Bauchnabelshow, sondern ein Ventil für das Absurde des Lebens und für manche wird es vielleicht sogar ein Sprungbrett für das Schreiben in traditionelleren Medien.

Ich habe mich immer gegen alle Kunsttheorie verwehrt. Ich fand das Nachdenken über Ästhetik überflüssig, ob nun mit Rousseau, Kant oder Herder, und habe mich in 5 Jahren Studium gründlich darum gedrückt. Nun stehe ich da und merke, dass ich über die Jahre selbst eine kleine Kunsttheorie entwickelt habe. Vielleicht keine, für die es sich lohnte, ein ganzes Buch vollzuschreiben, aber immerhin: die Umkehrung der Verhältnisse. Jedenfalls möchte ich Euch den folgenden Blog ans Herz legen:
Und bei der Gelegenheit auch an den oft verlinkten Blog meiner wundervollen Mitbewohnerin erinnern:
Beide ausgesprochen lesenswert. Ich mag Frauen, die etwas zu sagen haben! So ähnlich, wie ich finde, dass man romantische Momente auch mit guten Freund(inn)en erleben und als romantische Momente genießen sollte, finde ich es auch ok, Freund(inn)en kleine Liebeserklärungen zu machen für das, was sie für mich einzigartig und wundervoll macht. So darf das hier ruhig verstanden werden. Chapeau, mesdames!

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Caution: Ducks!

Gegen bergigen Trübsinn hilft nur...

...Hamburger Frohsinn
Danke, Pia, mein Herz. Danke, Anni, mein Schatz. Ich habe die wundervollsten Freundinnen der Welt!

Sonntag, 3. Oktober 2010

Tief unter der Elbe: Per Anhalter durchs Netz (Serie, Teil 27)

Avantgarde zum Tag der Deutschen Einheit. Ich bin im Urlaub, gut aufgehoben und chas-mäßig gut versorgt. Darum fasse ich mich heute kurz. Marco wird ihn schon vom Reeperbahnfest kennen. Ich habe ihn kennen gelernt, weil ich in anderen Gewässern gefischt habe (Diese Metapher hat mir neulich eine Freundin ins Ohr gesetzt und seitdem werde ich sie nicht mehr los…).

Spontan entzückt von Video und Musik – ich präsentiere Neo-Punk aus Berlin: Hans Unstern. Die Info zur Platte kratz dich raus, die der Ja-Paniker Andreas Spechtl verfasst hat, hilft wenig weiter und gehört genau zu der Befindlichkeitsecke im Musikjournalismus, in der ich nicht landen will. Sagt mir Bescheid, wenn's mir doch unterläuft. Bis dahin ergehe ich mich in Andeutungen.

Hans Unstern – Paris

Wann lerne ich dass ich Nacht nicht ohne Mond malen kann?
Punkt Punkt Komma Strich fertig






Voilà, Konzerttermine:
24.09. Köln | 25.09. Hamburg | 26.09. Potsdam | 02.10. Hannover | 05.10. Frankfurt | 06.10. München | 07.10. Zürich | 08.10. Luzern | 09.10. Leipzig | 10.10. Stuttgart | 29.10., 05. & 07.11. New York City | 21.11. Berlin
 Berlin, wer ist mit am Start?

Samstag, 2. Oktober 2010

Lauschen auf das Rauschen

Herzdurchblick
Der Counter steht bei nine-one-one. Ich bin auf dem Sprung von den Bergen bis ans Meer und nachdenklich geworden. Woran erkennt man ein echtes Gefühl? Mir kam in den letzten anderthalb Jahren einiges unter, das sich gut oder wenigstens mittelgut angefühlt hat, aber in Zeit und Nähe taugte nichts davon. So habe ich begonnen, mir selbst gegenüber misstrauisch zu werden und vielleicht auch Spielchen zu spielen. Ich habe viel zu oft Platzangst bekommen und mich in die Idee der Freiheit verknallt. Ich habe dabei nur leider übersehen, dass sie so leer und ausgehöhlt, wie ich sie manchmal verstanden habe, gar keinen Wert besitzt. Freiheit bedeutet nicht nur gegen etwas zu sein, ist nicht nur Freiheit von, ist nicht nur reine Anti-Haltung: Anti-Beziehung, Anti-Gebundenheit, Anti-Verbindlichkeit, Anti-Verantwortung, Anti-Einschränkung. Freiheit ist ihrem Wesen gemäß positiv bestimmt, sie ist Freiheit zu. Intellektuell hatte ich das bereits an anderer Stelle erwogen und betastet, aber emotional schien die positive Freiheit nicht bei mir angekommen zu sein. Aber allmählich spüre ich sie. Ich habe endlich alten Balast abgeworfen, ein Kreuzfahrtschiff aus Papier mit einem Mann über Bord. Sie legt sich wie Seewind auf meine Haut. Sie verwandelt das ewige Anti in wahre Unabhängigkeit, aufrichtige Gelassenheit, Glück im Alleinsein und Zufriedenheit mit mir selbst. Das ist wohl das, was Kitti einst meinte, als sie zu mir sagte, man bekomme erst ein Profil, wenn man eine Weile mit sich alleine gewesen sei und nur mit Profil verliebten sich die Menschen in einen als Menschen.

Ick bin ja ooch mit mir hier singt Icke von Icke&Er.

Und das echte Gefühl? Ganz selten habe ich es leise Klicken gehört. Ich will lieber keine Zahl nennen. Wegen des profunden Misstrauens mir selbst gegenüber habe ich immer versucht, es zu ignorieren, bis es dann irgendwann aus mir hervorbrach, meistens in Briefen, manchmal in Blicken. Für's Vergessen sind große Anstrengungen nötig. 

Ein leises Klicken? Die Liebe überfällt uns ab einem bestimmten Alter, mit einer bestimmten Abgeklärtheit und mit einem gewissen Maß an Erfahrung nicht mehr mit der Wucht einer Blaskapelle, wie es bei der großen Jugendliebe der Fall war. Die haben wir übrigens alle mit der großen Liebe an sich verwechselt und außerdem haben wir ihr viel zu lange nachgetrauert. Stattdessen ist es dieses leise Klicken, für das es  eine gewisse Vertrautheit braucht, das dann aber etwas sehr Plötzliches an sich hat, das alles mit einem Mal ganz einfach werden, das uns die Welt mit neuen Augen und mit der Aussicht auf andere Ufer sehen lässt.

Aber treten wir einen Schritt zurück von meiner Mikro-Frosch-Perspektive und lassen wir andere moderne Wortverdichter etwas über die Liebe sagen. Geliebte und verfluchte Metaebene…
Funny van Dannen singt:
Die Liebe ist ein Schmetterling auf der Autobahn,
sie macht die Augen zu und das Fernlicht an.

Dota Kehr singt:
Die Liebe ist ein kleines Tier,
vielleicht läuft es eines Tages fort.
Man fragt im Tierheim:
"Ham Sie noch so eins?"
Und dann ist keins dort.

Manchmal ist die Liebe für sie auch: …drei Worte im Sinn.

Die Ohrbooten singen: 
Denn es gibt so viele Gefühle für Liebe,
wenn ick dit Leben mit dir spiele, spüre ick Familie.
Da sind so viele gemeinsame Ziele
und deine sweete Brise gibt mir diese Perspektive.
Einige wählen aus Feigheit die Freiheit, anderen fehlt zur Freiheit der Mut. Freiheit ist aber nur dann Unabhängigkeit, wenn man in sich und nicht im anderen nach sich selbst sucht. Wenn du mich liebst, bleib bei dir singt Tom Liwa. Wir werden ohnehin nie fertig, wir finden keine große, letzte Antwort, wir sind immer auf der Suche. Wir müssen beginnen, die Fragen selbst liebzuhaben, so wie Rilke es fordert.

Aber kehren wir von der Freiheit zur Ausgangsfrage zurück: 
Woran erkennt man ein echtes Gefühl? 
Eine vage, kleine, flüchtige Antwort darauf ist neulich kurz in mir aufgeflackert. Es ist  ein echtes Gefühl, wenn zwei ehrliche Sätze einem in einem Wust von Worten sofort die Tränen in die Augen schießen lassen – das erste Mal seit langem. Es ist ein echtes Gefühl, wenn sich die Wahl hartnäckig jeder Logik, allen guten Argumenten und allen gemachten Erfahrungen widersetzt. Es ist ein echtes Gefühl, wenn man den einen Menschen nicht trotz sondern gerade wegen der Eigenschaften mag, von denen man weiß, dass man sie eigentlich nicht ausstehen kann. Es ist ein echtes Gefühl, wenn es auch die Verdrängungsanstrengungen überlebt und nicht so schnell vorbei ist, wie man ein Ein-Mann-Zelt abbauen kann. Ich hatte wirklich geglaubt, dass Schweigen heilsam sein kann, wenn man bei sich selbst klar Schiff gemacht hat. Aber die nicht gelebte Liebe lässt sich nicht wegschweigen, nicht vergessen, nicht verdrängen. Sie blitzt hier und da in kleinen Sequenzen wieder auf, reißt ein Loch in den Schleier des Schweigens, reißt ein Loch in die Freiheit und wirft uns ganz und gar aus der Bahn. Die Gedanken an die nicht gelebte Liebe begleiteten uns ein Leben lang. So lang ist meines noch nicht, aber ich bin mir das eine Mal ganz sicher, mit dieser Erkenntnis der Wahrheit sehr, sehr nahe zu sein.

So weit die auf mich eingestürzte Antwort. Ob ich sie bereits leben kann ist eine andere Frage. Platzangst, Neugier und Rastlosigkeit sind mir nach wie vor treue, sind mir mehr und weniger lieber Begleiter. Dennoch noch eine Nachfrage: Man gibt sich so große Mühe, genau in sich hineinzuhorchen und teilt dem Gegenüber das Erlauschte mit großer Ehrlichkeit mit. Bei all der Mühe, die diese Ehrlichkeit zu kosten scheint, vergisst man manchmal, die erspürten, in sich selbst vorgefundenen Positionen zu hinterfragen. Ab einem gewissen Alter will man die Grundpfeiler seiner gewählten Lebensform nicht mehr hinterfragen. Aber ich fürchte um den Moment, wenn das Leben fast vorbei ist. Nur die nicht getanen Dinge, werden wir bereuen. Was hingegen getan wurde, mag es uns Schmerzen oder bittere Erfahrung gekostet haben, uns schöne Augenblicke oder wertvolle Mensch geschenkt haben, ist gelebtes Leben. Denn daraus besteht das Leben. Mit dem Nichts und dem Mangel ist es eine schwierige Kiste. Dieses Nachdenken über Liebe ist nicht der richtige Ort dafür.

Mit Brecht hat es begonnen. Wäre nicht Brecht gewesen, wäre vielleicht nichts geschehen. Brecht hatte mich am Haken. Darum will ich es mit Brecht enden lassen. Vielleicht auch nur für heute. Vorweg muss ich aber sagen, dass es nur ein Pseudo-Brecht ist. Diese Zitat wird ihm fälschlicherweise zugeschrieben, aber das ist egal. Hätte er es gesagt, hätte er es gewiss auch vorrangig politisch und weniger lebensweltlich gemeint. Nu is' er aber tot und een Deutschlehrer is' ooch nich' anwesend, also lesen wa ihn wie wa wolln! sacht die Berliner Jöre in  mir, schließt trotzig mit den Worten…

"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

…und für heute die Augen, denn der Appell ist viel mehr an sie selbst gerichtet als an irgendwen da draußen und mit geschlossenen Augen lässt es sich einfach besser in sich hinein lauschen auf das Rauschen, das die Meeresstille des Seele macht, wenn man wahrhaft frei und glücklich ist.





Ein Nachsatz, inspiriert von girlrunningwild. [2010-10-03 15:55]

Lassen wir noch Sartre zu Wort kommen.
„Er [der Liebende] will von einer Freiheit geliebt werden und verlangt, daß diese Freiheit als Freiheit nicht mehr frei sei, […] daß diese Freiheit durch sich selbst gefangengenommen wird, daß sie sich, wie im Wahn, wie im Traum auf sich selbst zurückwendet und  ihre eigene Gefangenschaft will. Und diese Gefangenschaft soll freie und zugleich an unsere Hände gekettete Abdankung sein.“
[Das Sein und das Nichts 435]
Es ist ein echtes Gefühl, wenn man sich freiwillig, ja sogar gerne um die eigene Freiheit berauben lässt. Wenn wir mit Sartre auch wissen, dass der Versuch, Einheit zu erreichen, zum Scheitern verurteilt ist... Das Versuchen, das Anfangen, das Scheitern, das Aufrappeln, das Wollen und Sehnen und Verschenken – daraus, daraus, daraus ist es – süßes, goldenes, raues, frostiges, überladenes, vergeudetes, gebrauchtes, geliebtes, gelebtes Leben.