Mittwoch, 9. Juni 2010

korrekt, korrekt, jefällt ma, jeht ab...

Ich habe einen Mitbewohner, wo huere sympathisch isch. Genau genommen habe ich sogar zwei davon. Aber heute soll es nur um einen von ihnen gehen. Mit Grandmaster Tim teile ich nicht nur das Müesli, die Liebe zum Bier und die unterste Humorschublade sondern auch eine ganz entscheidende Einstellung zu Sprache. Bereits zu Beginn unseres Zusammenwohnens, also ohne uns besonders gut zu kennen, sind wir (in unprotokollierten Küchengesprächen) darauf gestoßen, dass wir es beide völlig in Ordnung finden, einen Gegenstand, einen Sachverhalt oder eine Person als behindert oder schwul zu bezeichnen. Eine (sogenannte!!) "jugendsprachliche" Tendenz, die vielen bekannt sein dürfte und die in studentischen und akademischen Kreisen als ausgesprochen unreflektiert und daher per se illegitim gilt. Das komplette Durchgendern der Welt ist der allerliebste Lieblingssport des StuRas bzw. AStAs (Dabei entstehen manchmal so wunderschöne Stilblüten wie "Liebe Wanderer und Wandererinnen..."), Politiker lieben Euphemismen wie Kollateralschaden, Restrukturierung, bewaffneter Konflikt. political correctness ist nach wie vor ausgesprochen in Mode. Ich frage mich schon seit längerem, was genau mich daran eigentlich so stört. 

Seit mir mit Tim ein intelligenter, sehr reflektierter und huere sympathischer Soziologie-Student gegenübersaß, den das gleiche Unbehagen mit diesem sprachlichen Unkraut à la "geistig herausgefordert" quält und der der political-correctness-Maschine mutig mit Humor und Ironie entgegentritt, versuche ich mich dem Phänomen linguistisch anzunähern. Sehr geholfen hat mir wieder einmal ein Eintrag im Bremer Sprachblog. So bin ich auf die Euphemismus-Tretmühle gestoßen (nebenbei bemerkt: was für ein herrlich anschaulicher Fachbegriff!!) Die Euphemismus-Tretmühle ist eine Theorie von Steven Pinker, die besagt, dass sich an ein Wort, das eigentlich dazu eingeführt wurden, um einen unangenehmen Sachverhalt zu beschönigen, im Laufe der Zeit die Bedeutungen des Wortes anheften kann, das das neue Wort eigentlich ersetzen sollte - jedenfalls solange sich die realen Verhältnisse, die das Wort bechreibt, nicht verbessert haben.

Besonders gut hat mir das Beispiel der "Jugendlichen mit Migrationshintergrund" gefallen, weil es sich dabei um eine relativ junge Bemühung handelt, mit sprachlichen Mitteln  die Verhältnisse zu ändern. Aber stattdessen hat der als neutral intendierte Begriff die Bedeutungskomponente hinzugewonnen, die früher dem Begriff Gastarbeiterkind angehaftet hat: sozial auffällig, unangepasst, störend. Besser integriert sind sie, egal wie man sie nennen will, deswegen noch nicht. Sie kommen kaum vor an den Stellschrauben in unserer Gesellschaft. Sie sind unterrepräsentiert bei Medienmachern, Politikern und in den Bildungseinrichtungen und das trotz der Kuschelbezeichnung...

Entscheidend ist also, dass sich die Verhältnisse nicht einfach ändern, nur weil wir unseren Sprachgebrauch ändern. Behinderte sind nicht weniger ausgegrenzt, weil sie plötzlich "Menschen mit besonderen Bedürfnisse" oder "anders Befähigte" genannt werden (die Liste der alternativen Bezeichnungen ist lang und absurd). Schwarze leben in der deutschen Provinz nicht weniger gefährlich, nur weil wir uns Phantasienamen wie "Farbige" ausdenken. Frauen werden nicht gleichwertig bezahlt, nur weil man an ihre Berufsbezeichnung ein "-in" ranklebt. Die dinosaurierartigen Strukturen an den Universitäten ändern sich nicht, nur weil es nur noch "_innen" bzw. "Innen" gibt. Nach wie vor stehen bei einem typischen Frauenstudiengang wie z.B. der Germanistik in Leipzig (mindestens 80% der Studentenschaft sind weiblich) nur zwei Professorinnen sieben Professoren gegenüber. Nebenbei bemerkt, ich finde wir sollten auch anfangen, von TerroristInnen, MörderInnen und NerdInnen zu reden, wenn wir schon konsequent durchgendern wollen. Bisher treffen Binnen-i und Gender Gap nur Bezeichnungen, die für die Bezeichneten positiv ausfallen.

Das was Tim in seinem Sprachgebrauch praktiziert, ist die gegenläufige Bewegeung: Man könnte es Dysphemismus-Tretmühle nennen. Nerd zählt in diese Kategorie; von einer ursprünglich abwertenden Bezeichnung ist der Begriff zu einer halbwegs stolzen Selbstbezeichnung geworden. Die gleiche Tendenz kann man für schwul, gay, Hure und Nigger annehmen, zumindest solange es eine Selbstbezeichnung ist. Das heißt wohl nichts anderes, als das der Ton die Musik macht. Solange wir Menschen wie Menschen begegnen, ist es eigentlich egal, wie wir uns gegenseitig nennen. Das zumindest wäre meine steile These, für die ich aber glücklicherweise nicht gevierteilt werden werde, weil ohnehin kaum ein Schwein mein Blog liest.

Zwei schöne Beispiele für meine These kann ich aber noch anbringen. Das erste ist ein negatives Beispiel meiner ehemaligen Niederländisch-Lehrerin. Sie war nicht nur linguistisch völlig ungebildet und beratungsresistent, sondern außerdem noch mit latent fremdenfeindlichen Einstellungen ausgestattet. So machte sie sich einmal über Afrikaans als eine "minderwertige" Sprache lustig. Sie begründete ihr Urteil u.a. damit, dass dort der Plural gebildet werde, indem die Wörter verdoppelt würden. Das stimmt erstens nicht und zweitens ist es meines Erachtens mehr als logisch, dass man, wenn einem mehrere Dinge vorliegen auf die Idee kommt, auch das Wort zu doppeln, um dieses Verhältnis auszudrücken. Eigentlich sollte man sich über die indoeuropäischen Sprachen lustig machen, weil die so ein Brumborium wie Stammlautveränderung und zig verschiedene Endungen zur Pluralmarkierung benötigen. Aber zurück zur Sache: Um Weihnachten herum ging es auch viel um Sinterklaas, den niederländischen Weihnachtsmann und dessen Helfer, die meine Niederländischlehrerin unverholen (auch auf deutsch) als Neger bezeichnete. Die Frau lebt seit 20 Jahren in Deutschland und müsste wissen, dass diese Fremdbezeichnung maximal noch bei sehr alten Menschen entschuldigt wird. Meine indisch-stämmige Cousine jedenfalls war von ihrer Redeweise getroffen und ich vermute, dass da wieder der musikmachende Ton ins Spiel kommt. Wenn jemand ohnehin so verschwurbelte Ansichten hat, kann ein negativ besetzter Begriff einiges Unheil anrichten. Tim hingegen merkt man an, dass er ein korrekter Typ ist und ich für meinen Teil würde mich von dem werten Herrn durchaus unbeleidigt als Ost-Schnitte oder Uschi bezeichnen lassen.

Nun kommt mein Positiv-Beispiel. In Thailand haben meine Schwester und ich im letzten Jahr drei unglaublich coole Jungs kennen gelernt, mit denen man prima abhängen konnte. Sie haben sich selbst als "die Tauben" bezeichnet, was meine Schwester und mich im ersten Augenblick befremdet hat, weil wir ja gelernt haben, dass man das Wort "taub" vermeiden sollte, weil es beleidigend verstanden werden kann und lieber "gehörlos" sagen sollte. Ähnlich wie Schwule mit ihrem "Gay Pride" haben die Jungs sich selbstbewusst u.a. als "taub" bezeichnet, was uns komplett die Scheu vor ihrem Anders-als-wir-Sein genommen hat. Ihr lockerer (auch sprachlicher) Umgang mit der eigenen Behinderung hat sich auf uns übertragen und wir hatten eine spitzenmäßige, wenn auch viel zu kurze Zeit miteinander. Dabei ist das folgende Foto entstanden, mittlerweile eines meiner Lieblingsfotos:

Der uns an diesem Abend begleitende Thai hatte sich die dargestellte Gebärde für die in Thailand weit verbreitete Redeweise "Same same, but different" ausgedacht. Zwar nicht korrekt aber ziemlich lustig!

Tim jedenfalls hat beschlossen die Verhältnisse umzukehren, er wird studierter Hausmann und Muckibudenbesucher. Seiner Freundin sind also karrieremäßig keine Grenzen gesteckt. Neue Schwanzträger braucht das Land!

Mit diesen Überlegungen lasse ich meine werte Leserschaft_Innen allein. Nerdige Grüße!

p.s.: Weiterführend empfehle ich das Buch "Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache" von Rudi Keller. Außerdem sollte man sich "Deafhood" von Paddy Ladd zu Gemüte führen, wenn man einen Einblick in die "Welt der Tauben" bekommen möchte.

2 Kommentare:

  1. Kann es sein, dass bewußt veränderte Sprache, dazu beiträgt, auf lange Sicht gesehen, dass sich die Einstellung verändert.
    Schwul ist kein Makel mehr, Jugendliche mit Migrationshintergrund sind alle, egal ob Kriegsflüchtlinge, Auswanderer oder Gastarbeiterkinder, aber in erster Linie Jugendliche.

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  2. Ich bin ja gerade der Meinung, dass sich die Wirklichkeit nicht allein durch eine (von oben verordneten) veränderte Sprachpolitik ändern lässt. Interessanterweise entlarvt unser Sprachgebrauch (der nach einiger Zeit den negativen Beigeschmack, der den alten Begriffen anhaftete zu den neuen Begriffen hinzufügt) die bestehenden schlechten Verhältnisse. So oft wir die Bezeichnungen für Behinderte oder "Jugendliche mit Migrationshintergrund" auch ändern, an ihrer prekären Situation am Rande der Gesellschaft ändern wir dadurch nichts. Dass Du es nicht mehr als Makel empfindest, wenn einer sagt, er sei schwul, liegt nicht daran, dass wir neue Wörter erfunden haben (Die Begriffsgeschichte des Wortes ist im übrigen sehr interessant!), sondern daran dass Schwule um ihre Emanzipation gekämpft haben und immer noch kämpfen. Sprache hat entlarvende Wirkung, sie spricht aus, wie die Dinge sind. Aber sie konstituiert unsere Wirklichkeit nicht. Konstruktivisten und Relativisten mögen mir widersprechen...

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