Donnerstag, 11. März 2010

Ich habe dort noch eine Magisterarbeit zu liegen

Im ersten Treffen in der Nerdzentrale gab es auch eine Diskussion, ob es deutsche Muttersprachler gibt, denen man ihre dialektale Herkunft nicht (mehr) anhört. Ich habe eine Freundin aus Mecklemburg, die ich als Paradebeispiel dafür angebracht habe, dass man ihr ihre Herkunft nicht anhören könne - sie spreche einfach nur hochdeutsch. Aber ich musste mich hier eines besseren belehren lassen. Sie ist nämlich nicht nur meine Freundin, sondern auch die von Sebastian und ihm ist gleich ein ganz typischer Ausdruck von ihr eingefallen, der sie als Dialektsprecherin "entlarvt". Und zwar Ausdrücke wie diesen: Ich habe auf meinem Tisch noch ein Buch zu liegen. Standardsprachlich müsste der Satz eigenlich Ich habe auf meinem Tisch noch ein Buch liegen. heißen. Ich empfinde diesen Satz als ungrammatisch und würde ihn so auch nicht verwenden. Im Internet findet man, wenn man die Konstruktion "zu liegen" googelt (oder lieber umweltfreundlich znoutet), tatsächlich zwei Diskussionen zum Thema: eine von einem gewissen Herrn Sick, der dieses "ausgefallene sprachliche Prinzip" aber sprachwissenschaftlich nicht erklärt, sondern lieber von einer abendlichen Fahrt durch Berlin berichtet. Der zweite Treffer ist eine Diskussion zwischen ein paar Internetnutzern. Auch hier verhärtet sich der Verdacht, dass die Konstruktion "zu liegen" irgendwie norddeutsch ist, sogar von brandenburgischem Infinitiv ist die Rede. So weit so gut, aber wie kommts? Ich denke, der Schlüssel zum Ganzen ist haben und die Verbindung mit liegen durch einen zu-Infinitiv. Der Satz Ich habe noch ein Buch zu lesen. ist ganz normal (oder doch nicht?) - also kann es am "Gehalt" des folgenden Infinitivs liegen. Lesen bezeichnet einen dynamischen Vorgang, wohingegen liegen einen statischen Zustand bezeichnet. Vielleicht liegt also hier der Schlüssel.
Ich habe auf meinem Schreibtisch jetzt aber noch eine rudimentäre Magisterarbeit zu liegen - überhaupt, aus einer statischen Magisterarbeit muss langsam mal eine dynamische werden! Macht Sinn, oder?

1 Kommentar:

  1. Woher die Konstruktion genau kommt, ist mir selbst unklar und ich finde Deine Vermutungen schlüssig, fühle mich aber selbst etwas befangen, weil ich als Berliner Pflanze keinerlei ungrammatisches Bauchgrummeln bei solchen Sätzen bekomme. Darauf gestoßen bin ich selbst vor einigen Jahren, weil mich eine Freundin darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie diese Konstruktion extrem komisch finde und sie so nur aus Berlin kenne. Vielleicht muss man dazu sagen, dass sie sprachlich in Fulda sozialisiert wurde und erst mit ihrem Umzug nach Berlin mit "Norddeutschen" in Kontakt kam. Ich bin dem Phänomen dann etwas unwissenschaftlich auf Wikipedia nachgegangen und habe folgende Information dazu gefunden:

    Zitat Wikipedia:

    Erweiterter Infinitiv mit 'zu'

    Der Gebrauch von Infinitiven mit oder ohne zu stimmt nicht immer mit dem Hochdeutschen überein. Diese Eigenart geht auch gebildeten und ausschließlich Hochdeutsch sprechenden Berlinern in der Regel nicht verloren, selbst im Schriftgebrauch. Ein Dauerbrenner in Deutschen Lektoraten und Redaktionen.

    - Haste nüscht bess’ret zu tun als’n janz’n Tach rumsitzen? (statt: rumzusitzen)
    - Ick hab'm Buch uff'm Tisch zu lieng. (statt: uff'm Tisch lieng)

    Meistens wird brauchen ohne zu gebraucht. Hinzu kommt, dass die dritte Person Einzahl ohne t gebildet wird, wodurch brauchen im Berlinischen zu den Hilfsverben gezählt werden kann.

    Dann braucht er es nicht zu machen.Denn broochat nich mach’ng.

    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Berlinische_Grammatik

    Vor allem die Bemerkung mit dem Hochdeutsch und dem Lektorat hat mich damals (zu einem noch nicht sehr weit fortgeschrittenen Zeitpunkt meines Studiums, als ich noch ein von der Schule versauter Sprachnazi war) einsehen lassen, dass auch ich kein Hochdeutsch spreche. Es leben die Dialekte!!

    Ich habe, sensibilisiert durch diesen Post, im übrigen gleich ein authentisches Sprachdatum in meiner Mailkorrespondenz gefunden. Der Sprecher wurde sprachlich in der Altmark sozialisiert: Ich habe ihn noch im Keller zu stehen. Daran können wir doch konkret arbeiten.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.